Berliner Silvester-Krawalle und die Integrationsfrage?

Berliner Silvester-Krawalle und die Integrationsfrage?

Bei unserem Dreifach-Jubiläum kamen immer wieder die Gewaltexzesse der Silvesternacht in Berlin zur Sprache und wie ich diese im Hinblick auf die allgemeine Integrationsdiskussion vor meinem eigenen biografischen Hintergrund als Flüchtling kommentiere.

Grundsätzlich steht natürlich außer Frage, dass derartige Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte als absolut unentschuldbar zu verurteilen sind. 

Wer so etwas tut, ist schlichtweg „von allen guten Geistern verlassen“. 

Der Angriff auf Rettungskräfte, Feuerwehr und Polizist:innen ist nichts anderes als ein brutales Verbrechen, ein Angriff gegen den Staat und das völlig unabhängig davon, welche sprachliche oder kulturelle Herkunft jemand hat. 

Sofern an den Berliner Krawallen tatsächlich asylsuchende Migranten beteiligt waren, wäre es natürlich eine besonders prekäre Situation, wenn Menschen den Staat angreifen, von dem sie erwarten, dass er ihnen Schutz gewährt und sie aufnimmt und in vielfältiger Form unterstützt.

Waren die Angreifer hier geborene und aufgewachsene deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund, dann fragt man sich: 

Wie war eigentlich deren Erziehung? 

Wo ist die Selbstverständlichkeit abhandengekommen, dass in unserer Gesellschaft der Staat das Gewaltmonopol innehat. 

Die Verbitterung von Polizist:innen, Feuerwehrleuten und Rettungskräften – und darunter sind auch sehr viele mit Migrationshintergrund – ist mehr als verständlich.

Als europäische Führungsnation sollten wir auch einmal grundsätzlich über die so „gefeierte“ Berliner Dysfunktionalität und die ewige „arm, aber sexy“-Pleite unserer Hauptstadt nachdenken. Warum ist Berlin die einzige EU-Hauptstadt, die die Gesamt-Wirtschaftsleistung Ihres Landes schwächt, anstatt zu stärken? Eine EU-Hauptstadt, die es nicht hinbekommt, ihr Gemeinwesen zu managen.

In Berlin scheiterten wir nicht nur am Flughafenbau, sondern auch an simpelsten Verwaltungsvorgängen, wie der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Der Umgang mit dieser Wahlpanne seitens derjenigen, die es zu verantworten haben, ist besorgniserregend, weil jegliche Einsicht fehlt, dass es so nicht weitergehen kann. 

Aber die Tragik wird erst vollkommen, wenn man ehrlicherweise erkennt, dass sich keine der zur Wahl stehenden Parteien um eine Antwort bemüht, wie diese schreckliche Dysfunktionalität behoben werden könnte. 

Wo sind denn die generationsgerechten, konstruktiven, zukunftsweisenden Lösungsansätze in Berlin, die sich mit dem Erfolg des Südens messen ließen?

Anstatt zu gestalten geht es offensichtlich nur darum, recht zu behalten und dabei verliert man sich in ausgrenzender, spaltender, konfrontativer Sprache.

Es wäre schön, wenn die Berliner:innen bei der Wiederholungswahl am 12. Februar tatsächlich entscheiden könnten, ob sie weiterhin das Schlusslicht unter den europäischen Hauptstädten sein möchten, oder lieber wie ihrer kulturellen Vielfalt gebührend auch ein kraftvolles, positives Beispiel für Europa und damit verdiente Hauptstadt von Udo Lindenbergs „Bunter Republik Deutschland“. Aber will überhaupt eine politische Bewegung heraus aus dieser Misere der Dysfunktionalität? Denn dafür müsste Berlin in Gänze erneuert werden. Und das in einer Zeit der multiplen Krisen, in der die Zahl der Geflüchteten in Europa dramatisch ansteigt und nur noch Deutschland unkontrollierte Einwanderung mit dem Etikett „Willkommenskultur“ versieht, während andere Länder einfach nur noch als „Wegweiser nach Deutschland“ fungieren. Denn die Solidarität und Bereitschaft, in Europa Flüchtlinge aufzunehmen, nimmt unaufhaltsam ab.

So „mutig“ diese Berliner Chaoten an Sylvester gegen die freiheitliche Demokratie aufbegehrt haben, so mutig müssen wir als Gesellschaft vermitteln, dass der Respekt für unsere freiheitliche Demokratie und unseren Rechtsstaat nicht zur Disposition steht.

Die Problematik der Clan-Kriminalität beispielsweise werden wir sicher nicht dadurch lösen, indem wir einfach die Terminologie „Clan-Kriminalität“ aus den Medien und dem Sprachgebrauch derjenigen Beamten verbannen, die sie eigentlich zu bekämpfen hätten.

Wir dürfen unter keinen Umständen tolerieren, dass sich etwa ein Clan-Oberhaupt über die Rechtsstaatlichkeit stellt. Denn diese innerstädtischen Parallelwelten sind genau das Gegenteil einer „Bunten Republik Deutschland“, die eben nicht auf Abgrenzung, sondern auf Verschmelzung und gegenseitige Bereicherung unterschiedlicher kultureller Einflüsse gebaut ist. 

Aber immer auf der Basis gemeinsamer Werte und somit klar gegen Antisemitismus, Homophobie und für uneingeschränkte Gleichberechtigung der Frau. Schließlich funktioniert Demokratie nicht als Etwas, das man nach Belieben nur zum eigenen Vorteil gebrauchen kann, um es immer weiter auszuhöhlen und zu missachten.

Doch greift hier überhaupt eine „Integrationsdebatte“? Muss man wirklich wegen 100 oder 150 kriminellen Gewalttätern eine grundsätzliche Integrationsdebatte führen? Immerhin leben in Deutschland über 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Menschen haben mit den Silvesterkrawallen nichts zu tun. Im Übrigen, gehören Peter Maffay, Gabor Steingart und ich ebenfalls zu dieser Bevölkerungsgruppe. Dieses Foto von unserem Dreifachjubiläum am 7. Januar kommentierte Gabor Steingart daher auch spaßeshalber, süffisant als „Drei mit Migrationshintergrund und Integrationserfolg“.

Bei einer Diskussion über die Verbesserung von Integration und eine mögliche Anpassung unserer Migrationspolitik an die Realität wäre es wünschenswert, wenn wir, wie es früher selbstverständlich war, Fakten, Haltung und Meinung auseinanderhalten könnten. 

Weder dürfen wir alle Migranten und Ausländer pauschal beurteilen oder stigmatisieren und Integration für komplett gescheitert erklären, noch wäre es angemessen, sich reflexhaft als Schutzpatron aller Migranten zu gerieren ohne Rücksicht auf Fehlentwicklungen, oder kriminelle Exzesse Einzelner.

Parteipolitischer, ideologischer Starrsinn ist hier wenig hilfreich, oder wie Gabor Steingart es so treffend schreibt „die Physik der politischen Schubumkehr offenbart ihre idiotisierende Wirkung“.

Das Thema ist so substantiell bedeutsam für unser Land, dass es nur durch echten Diskurs zu einem gesellschaftlichen Konsens gebracht werden kann. Einem Konsens, der dieses Wort im eigentlichen Sinne auch verdient und damit auch umgesetzt werden kann. Hierzu brauchen wir eine gesellschaftliche, ergebnisoffene, sachliche, faktenbasierte Debatte, in der wertegebundene, aber auf Tatsachen beruhende Gegenrede sehr wohl Platz finden muss.

Unser Land hat kein Interesse, einen Kulturkampf über die Zuwanderung zu führen. Die Menschen brauchen endlich Lösungen. Sie verdienen es, dass ganz offensichtliche Integrationsdefizite gelöst werden, auch wenn die ehemalige Integrationsbeauftragte in NRW Serap Güler (CDU) „nicht diskutieren“ will, was natürlich völlig falsch ist. Denn diskutieren kann man auch ohne konfrontative Ansprache mit Respekt und nur so werden wir Brücken bauen.

Brücken, die den Raum für Handlungsoptionen erweitern werden anstatt ihn zu verengen.

Spaltende Sprüche wie „kleine Paschas“ verursachen nur Kollateralschäden und tragen wenig zur Lösung bei. 

Ein Blick nach Bayern hätte hier konstruktivere Lösungsmöglichkeiten gezeigt. Dort wird ein wirklich gut funktionierendes Gegenmodell gestaltet. Bayern hat mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich und in München liegt der sogenannte Ausländeranteil höher als in Berlin. Nicht nur meine eigene Empirik, sondern auch die Faktenlage haben hier den gleichen Vektor.

Gleichwohl, wenn man mich fragt, wie Integration meiner Ansicht nach gelingen kann, sehe ich grundsätzlich zwei Ansätze respektive Leitsätze: Der Eine lautet „Keine Toleranz für Intoleranz!“. 

Will heißen, unsere Gesellschaft ist geprägt von gemeinsamen Werten und Regeln, schauen wir einfach ins Grundgesetz. Jeder verdient denselben Respekt, Niemand darf diskriminiert werden wegen Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Und dass wir Alle hier in Deutschland insbesondere wegen des Zivilisationsbruchs der Nazis im Hinblick auf Antisemitismus absolute Null-Toleranz an den Tag zu legen haben, versteht sich von selbst.

Der andere Leitsatz ist: „Integration ist eine Bringschuld der Eingewanderten“ und das sage ich als ehemaliger illegaler Einwanderer und ehemaliger Asylsuchender, der mit 22 Jahren als Flüchtling über die grüne Grenze nach Deutschland kam ohne ein Wort Deutsch zu sprechen.

Auch wenn es vielleicht zu subjektiv und anmaßend klingen mag: Die Tatsache, dass ich bereits kurz nach meiner Asylantragstellung auf Vermittlung des arbeitsamt-eigenen Künstlerdienstes im Schwäbischen Landestheater als Musiker spielen konnte, war für mich ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Zwischen illegaler Einwanderung, Asylantragstellung und erster Teilhabe an der Wertschöpfung und der Chance auf Selbstbestimmung lagen gerade einmal 4 Wochen. 

Um dieses wunderbare Land zu entdecken, sich in die Menschen, die Kultur zu verlieben ist also der ideale Weg, wenn man nach der Einwanderung sehr schnell eine Entscheidung bekommt, ob man bleiben darf oder nicht. 

Nichts ist schlimmer, als ein ungeklärter Status mit all der Ungewissheit, Perspektivlosigkeit und erzwungener Untätigkeit. Wir dürfen die Menschen nicht wegsperren, ignorieren und demotivieren. Die Chance zur Teilhabe an einer Gesellschaft, das ist die Motivation für diese Menschen, die sehr viel auf sich genommen haben, um hier „ihr Glück selbst in die Hand nehmen“ zu dürfen. 

Diejenigen, die hierbleiben können, brauchen nicht viel mehr, als die Möglichkeit, sich in unsere Gesellschaft einzubringen, also zu Arbeiten und sich ein eigenes Leben, eine eigene Existenz aufzubauen.

Nichts integriert Menschen mehr, als mitzumachen, mitzuarbeiten, mitzugestalten und dadurch Teil der Gesellschaft zu sein. Und dass die Kinder unabhängig von ihrer soziokulturellen und sozioökonomischen Herkunft gleichwertige Bildungschancen erhalten und auch wahrnehmen dürfen.

Wenn wir diese einfachen Grundsätze verinnerlichen, das sage ich als jemand, der früher selbst betroffen war, können wir Alle gemeinsam für unsere Gesellschaft viel gewinnen.

Es gibt nichts Schöneres, als unsere „Bunte Republik“ Deutschland auch mitgestalten zu dürfen und einen zweiundachtzigmillionstel Beitrag leisten zu können, damit wir jeden morgen in einer besseren Welt aufwachen, als wir am Abend zuvor ins Bett gingen.

In jedem Fall scheint die verbale Deeskalation bei diesem gesamten Diskurs eine der größten Herausforderungen und gleichzeitig wichtige Voraussetzung. Gerade in diesen schwermütigen Zeiten mit einem Krieg in Europa, in denen bisherige Konstanten und Gewissheiten unseres Lebens implodieren, 

wenn etwa die Partei des Klimaschutzes weiterhin Braunkohle abbauen lässt und stolz ist auf den Bau von LNG-Terminals, eine der umweltschädlichsten Formen der Energiegewinnung, wenn diese Partei darauf besteht, dass moderne deutsche Kernreaktoren abgeschaltet werden während Atomstrom aus Polen und Frankreich importiert wird, wenn diese Partei, die sich an der Spitze der LGBTQ-Bewegung sieht, gleichzeitig bei homophoben Diktaturen um langfristige Lieferung von Öl und Gas bittet, wenn die sparsamen Liberalen hunderte von Milliarden neue Schulden als „Sondervermögen“ betiteln, wenn Pazifisten lautstark für die Lieferung von immer mehr schweren Waffen eintreten, wenn unsere Chefdiplomatin wenig diplomatisch vom „Krieg gegen Russland“ spricht

Und, wer ist noch so naiv, von diesem blutrünstigen, menschenverachtenden Diktator aus Moskau irgendeine besonnene Reaktion auf die verstärkten Waffenlieferungen an die Ukraine zu erwarten.

Andererseits, wer hätte erwartet, dass Präsident Selenski auf die Lieferung von Kampfpanzern, also einer Entscheidung mit der hierzulande als Überschreitung einer roten Linie sehr lange gerungen wurde, nicht einfach mit Dankbarkeit reagiert, sondern umgehend mit dem Ruf nach U-Booten, Langstreckenraketen und Kampfflugzeugen antwortet, und das bei gleichzeitigem kategorischem Ausschluss von Waffenstillstandsverhandlungen.

Was löst dies aus bei jemandem wie mir, der nicht nur selbst illegaler Einwanderer und Asylsuchender Mitte der 1970er war, sondern der im kalten Krieg sozialisiert war mit der Botschaft unserer Väter aus Woodstock “make music, not war!”, der ein Leben lang gegen Rüstung und für Frieden war, der Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Henry Kissinger für ihre Friedfertigkeit feierte, der in Budapest mit Russophobie aufwuchs durch die Schandtaten der schrecklichen Besatzungsmacht, und gleichwohl die Werke von Tschaikowsky bis Strawinsky, von Puschkin bis Dostojewski schätzen gelernt hat, all die Kunstwerke, die Selenskis Kulturminister heute aus dem Weltkulturerbe verbannen möchte, der gemeinsam mit Ukrainischen Künstlern zur Betreuung von Flüchtlingen an die ukrainische Grenze eilte und ein Charity-Konzerte für ukrainische Flüchtlinge spielte, weil im Mittelpunkt meiner Empfindungen eben die Solidarität mit den Menschen steht, die Schreckliches erleiden.

Gerade aus meiner Biographie als Migrant und Flüchtling erwächst die Verpflichtung zum permanenten Versuch, Spaltung zu überwinden. Aus meiner lebensgefährlichen Flucht durch den Tunnel, der herzlichen Aufnahme und den Chancen, die mir hier in Deutschland zuteil wurden, wuchs in mir der tiefe Wunsch und die Verpflichtung, auch dann zu versuchen, Brücken zu bauen, wenn Brückenpfeiler gerade verschüttet scheinen und es beschwerlich ist.

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