Kunst und kulturelle Vielfalt sind existenziell für unsere Demokratie
Die Stilllegung des Kulturlebens und die Nichtbeachtung der Nöte flexibelster und furchtlos ehrlicher Kreativer in unserer Gesellschaft mit der Kernbotschaft, dass Kunst weder system- noch humanrelevant sei, betrübt dauerhaft das Seelenwohl unseres ganzen Landes.
Dabei sind Kunst und kulturelle Vielfalt existenziell für unsere Demokratie und unsere bunte Republik, wie mein Soulmate Udo Lindenberg unser Land nennt. Ich sorge mich nicht um uns etablierte Künstler oder die Branchenriesen, sondern vielmehr um all die Solo-Selbstständigen wie Caterer, Bühnenbauer, Techniker, Bühnenbauer und Sicherheitspersonal. Genau solche Dienstleister und fleißigen Arbeiter und Mitarbeiter, die unsere Tourneen überhaupt erst ermöglichen, fallen durchs Raster. Ich sorge mich um die Existenz der jungen und innovativen Künstler, die auf die kleineren Bühnen und Festivals angewiesen sind und bereits durch den Paradigmenwechsel in der Tonträgerindustrie keine Rücklagen mehr bilden konnten.
Wir brauchen Kunst und Kultur für unsere seelische Gesundheit
Wahrscheinlich sind wir sogar die einzige Branche, die keine echte Interessensvertretung hat. Kunst und Kultur hat sich bisher immer um sich selbst gekümmert, hier gibt es keine Lobby und keine Gewerkschaft, dafür aber ein Publikum. Nur unser Publikum, um bei dem Beispiel der Musiker und Musikschaffenden zu bleiben, gibt uns unsere Stimme. Wir als Künstler sind für Emotionen zuständig und wenn wir durch diesen schrecklichen Winter, der wie ein dunkler Tunnel auf uns zukommt, durchkommen wollen, dann müssen wir uns alle die essenzielle Wichtigkeit von Kunst und Kultur vor Augen führen. Nicht nur unsere körperliche Gesundheit, auch unsere seelische Gesundheit muss diese enorme Herausforderung überstehen und hierfür braucht es Kunst und Kultur, so wie es Ärzte, Krankenschwestern und das gesamte medizinische Personal eben für unsere körperliche Gesundheit braucht.
Uns Musikern kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, da wir mit unserer Kunstform den Kontakt zum Publikum besonders schnell und direkt aufbauen können. In unserer gespaltenen Gesellschaft möchte ich mit meinen Songs das Gemeinsame und Verbindende in den Vordergrund stellen. Mit unserem Song „Wake up“ gemeinsam mit Till Brönner rufe ich dazu auf, Achtsamkeit statt Ignoranz und Gier zu unserer Prämisse zu machen.
Da die Politik sie alle anscheinend als systemirrelevant betrachtet, wünsche ich mir für die Livebranche, dass diese Pandemie kein strukturelles Branchensterben mit sich bringt. Die Pandemie wird irgendwann hinter uns liegen, aber wenn wir uns jetzt nicht auch um die Live-Branche kümmern, dann wird es auch nach überstandener Krise diese Branche einfach nicht mehr geben.
Katastrophe für die Seele unseres Landes / Schutz der Demokratie Eine komplexe Wertschöpfungskette aus Dienstleistern steht kurz vor dem Zusammenbruch und es wäre eine Katastrophe für die Seele unseres Landes, wenn die Fülle und Vielfalt unserer Kultur dadurch drastisch ausgedünnt werden würde. Wir müssen als Gesellschaft, Kulturschaffende und auch das Publikum, gemeinsam aufstehen und uns für den Erhalt unserer Kunst und Kultur, und damit auch den Schutz unserer Demokratie einsetzen. Sonst kann unsere Gesellschaft auch nach überstandener Pandemie von der Künstlercommunity emotional nicht mehr aufgerichtet werden und somit wären Künstler kein sicherer, weil unabhängiger Kompass mehr.
Prophylaxe gegen das Eindringen radikalen Gedankenguts
Kulturelle Vielfalt ist systemrelevant. Eine gesunde und aktive Kunst- und Kulturszene ist eine der wirkungsvollsten Prophylaxen gegen das Eindringen radikalen Gedankenguts in die Mitte der Gesellschaft.
Kunst ist immer ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft und ein Korrektiv, was gerade in Zeiten wie diesen unverzichtbar ist. Deswegen müssen gerade wir etablierten Künstler jetzt unsere Stimmen erheben und uns lautstark für den Erhalt dieser Vielfalt einsetzen.
Korrektur unseres gesellschaftspolitischen Leitbildes
Die Chinesen nutzen das gleiche Wort für Krise und Chance. Diese Krise ist gewaltig und überfordert uns alle, aber sie birgt auch eine Chance.
Wir haben jetzt die Möglichkeit eine konstruktive Korrektur unseres gesellschaftspolitischen Leitbildes vorzunehmen, damit wieder die Menschen im Mittelpunkt, die Achtsamkeit über der Gleichgültigkeit und die Menschlichkeit über der Gier stehen. Es ist an der Zeit, neu zu bewerten, wer und was wirklich systemrelevant ist und die Frage zu stellen, wer gesellschaftlichen Mehrwert, Zusammenhalt und Solidarität schafft.
Was ist systemrelevant?
Die Helden dieser Tage, wie wir es auch bereits im ersten Lock Down erfahren haben, sind all diejenigen, die die öffentliche Ordnung aufrechterhalten, all diejenigen, die sich um alte, kranke und schwache Menschen kümmern und dabei ihre eigenen Gesundheit und die ihrer Familien aufs Spiel setzen, all diejenigen, die Tag und Nacht für uns im Einsatz sind auf den Straßen, bei der Polizei, der Feuerwehr, in den Krankenhäusern, in Alten- und Pflegeheimen, bei der Müllabfuhr und es gibt noch einige mehr, die ich hier nicht aufgezählt habe. Die Spekulanten, die sich zu gerne Investmentbanker nennen, die aus einer solchen Situation Profit schlagen sind für mich genau das Gegenteil von „Systemrelevanz“. Sie sind die Feinde unserer Gesellschaft und unseres Sozialstaates, die mitunter auch Schuld daran haben, dass momentan Intensivbetten knapp werden könnten, weil innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte Krankenhäuser von kommunalen Kliniken in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, um die vermeintliche Effizienz und den Profit zu steigern.
Angst vor Kontrollverlust
Ich verstehe, dass die politischen Entscheidungsträger in allergrößter Sorge bzgl. eines Kontrollverlustes sind und auch die Gesundheit der Menschen und das Gesundheitssystem schützen wollen. Diese Entscheidungen wurden und werden zum Schutz von uns allen getroffen und ob eine Entscheidung angemessen und richtig oder eventuell überzogen oder sogar falsch war, werden wir erst in der Retrospektive erfahren.
Ich bin aber überzeugt, dass aufrichtige und ehrliche Sorge der Ratgeber unserer politischen Entscheidungsträger ist und sicherlich auch die Angst vor einem nicht zu verantwortenden Kontrollverlust.
Bei vielen macht sich jedoch ein diffuses Gefühl breit, dass die Zeichen des Kontrollverlustes, die sich der Staat in den vergangenen Jahren geleistet hat, sich häufen.
Der Hauptstadtflughafen wird mit 9 Jahren Verspätung und mehr als den dreifachen Kosten eröffnet, oder wie wir in Dresden erleben mussten, können Mörder ihre Straftaten ankündigen, sie werden trotzdem nicht abgeschoben, sondern bekommen eine Duldung. Im Görlitzer Park mitten in Berlin können die Drogenhändler ungehindert ihre illegalen Geschäfte betreiben, aber die Kinder nicht mehr zum Spielplatz. Bei den NSU-Morden wurden die Täter in den Opfer-Familien gesucht, Synagogen werden angegriffen und der schändliche Antisemitismus ist wieder ein Thema.
Die vor 12 Jahren mit der Lehman Brothers-Pleite eingeläutete Finanzkrise wurde keineswegs gelöst, sondern nur vertagt und die Gier des Finanzkapitalismus tobt wie eh und je, während die für uns alle gemeinsam so wichtige EU vor unseren Augen zerfällt.
Konnte man beim Hauptstadtflughafen schon nicht mehr mit deutscher Ingenieurs- und Managementkunst glänzen, war man erst recht hocherfreut über den immensen Erfolg eines Unternehmens namens Wirecard, stolz, wenigstens ein strahlendes Flaggschiff zu finden, das international mit den Großen wie Google, Apple, Amazon in einem Atemzug genannt werden konnte. Leider ist auch diese Blase geplatzt, da weder Wirtschaftsprüfern noch Finanzaufsichtsbehörde ein paar nie existente Milliarden aufgefallen sind.
Ein Staat, der so oft die Kontrolle verliert, büßt Glaubwürdigkeit und natürliche Autorität ein, die gerade jetzt bei der Bekämpfung der Pandemie seine stärkste Währung sind.
Die Pandemie mit ihren Belastungen vertieft bereits existierende Spaltungen und schlägt neue, tiefe Wunden in weiten Teilen der Bevölkerung. Wie also halten wir die Enden der Gesellschaft zusammen und wer richtet die Menschen wieder auf, wenn wir eines Tages aus der Covid-19-Nacht gelangen, wer zündet das Licht am Ende des Tunnels wieder an? In Zeiten des Lockdown leiden wir darunter, nicht in Live-Konzerte, ins Kino, in Ausstellungen gehen oder neue, junge Künstler auf Kleinkunstbühnen entdecken zu können, aber wir ertragen es, weil es notwendig ist. Was aber, wenn wir nach überstandener Pandemie wieder hinausdürfen, aber diese Szene ist einfach weg? Die monochrome Stille im Land der Dichter und Denker, die uns dann erwartet, wird nicht zu überhören sein.